Streams (Navona Records NV 5918), 2013
Martin Schlumpf: „Mouvements“ (Martin Levicky, Moravian Philharmonic Orchestra, Vit Micka), „Waves“ (Petr Nouzovsy, Marek Vajo, Moravian Philharmonic Orchestra, Petr Vronsky), „Streams“ (Matthias Müller, David Taylor, PARMA Orchestra, John Page)
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Hörbeispiele: Streams / Waves / Mouvements
Booklet Text CD Streams
Nach zwei früheren Werken dieser Gattung, “Fragment” for violin and chamber orchestra (1974-5) und “Stratifications” for solo trumpet, piano obligato and orchestra (1977-8), gehört das 1994 geschriebene Klavierkonzert “Mouvements” zu den ersten und wichtigsten Werken einer mit den 90er-Jahren beginnenden neuen Kompositionsperiode Schlumpf’s: Einflüsse der minmal music und des Jazz, neue tonale Konzepte, eine starke Ausprägung der Rhythmik sowie klare formale Konzepte sind seitdem prägende Elemente in Schlumpf’s Komponieren.
„Mouvements“ eröffnet mit einem gut fünf Minuten dauernden Steigerungsteil A (der Boléro von Ravel lässt von Ferne grüssen), dessen Grundgerüst aus der Repetition einer viertaktigen Marimbafigur besteht. Über diesem konstanten Boden entwickeln das Solo-Klavier und andere Orchesterinstrumente verschiedene eigene Melodien, bis schliesslich der Solist nach 25 Wiederholungen des Marimbapatterns selbst in dieses einmündet und der Teil mit einem frenetischen Tutti beendet wird. Als formale Klammer greift der Schlussteil D auf dasselbe Kopfmotiv zurück, jetzt solistisch in verschiedenen Instrumenten und Tempi, minimalartig in feiner Textur überlagert, mit einem Soloklavier, das als Farbklang in hoher Lage ins Orchester integriert ist. Gegengleich zum Anfang wird hier die Musik sukzessive immer langsamer und leiser.Im Teil B übernimmt das Klavier quasi die Rolle eines (Jazz)-Sängers in einer sehr ruhigen mit Solofarben ausgestatteten Umgebung. Nach einer Perkussions-Überleitung folgt der Teil C, in dem klar definierte Klangblöcke in verschiedener Reihenfolge aufeinander treffen, die Peitsche als eine Art Schiedsrichter fungiert, das Klavier sich einmischt und schliesslich die gesamte Spannung sich in einer virtuosen Klavierkadenz auflöst.
In dem 2002 entstandenen Cellokonzert „Waves“ verwendet Schlumpf zum ersten Mal Computerklänge, gemischt mit dem Solo-Cello, einer obligaten Trompete quasi als Nebensolist und einem Streichorchester. Die Computerklänge, in Schlumpf’s Heimstudio selber hergestellt, verwenden vor allem Instrumente aus dem Ethnobereich: Blas-, Zupf- und vor allem Perkussionsinstrumente aus Afrika und Asien. In der realen Konzertsituation werden diese Computerklänge durch das sogenannte Ambisonics-Verfahren dreidimensional rund um das Publikum herum verteilt, wodurch die musikalischen Strukturen besonders ohrenfällig werden. Noch in einer weiteren Dimension führt die Verwendung des Computers zu neuen musikalischen Möglichkeiten: unlimitiert in der Anwendung polyrhythmi-scher Strukturen und gesteuert mit Clicktracks für den Dirigenten und den Trompeter entstehen hier musikalische Felder, in denen die Instrumente in verschiedenartigen Zeitebenen gleichzeitig spielen, ohne den Kontakt zueinander zu verlieren. So entsteht ein Konzert mit einer ganz eigenständigen Rhythmus- und Farbensprache, einem vielfältigen Dialogisieren zwischen Cello, Trompete, Orchester und Computer und einem formalen Ablauf, in dem vor allem eine weitgehend improvisierte Cello-Kadenz sowie ein songartiger Schluss herausragen.
Das neueste der hier versammelten Konzerte, „Streams“ for clarinet, bass trombone and 17 instruments von 2010 ist Matthias Müller und David Taylor gewidmet. Ursprünglich als Klarinettenkonzert für seinen Freund Müller geplant, hat Schlumpf Ende 2009 die Besetzung geändert, nachdem Müller ihm von New York aus begeistert von einem phänomenalen Bassposaunisten Taylor erzählt hatte, den er neu kennengelernt hatte. Da Schlumpf selber in den 80er-Jahren mit Taylor zusammen in europäischen Bands improvisiert hatte, entschied er sich, ein Doppelkonzert für seine beiden Freunde zu schreiben.
Noch zwei weitere Besonderheiten dieses Konzerts sind darauf zurückzuführen, dass Schlumpf die beiden Solisten gut kannte: Einerseits betriff dies die Ausgestaltung der Kadenz (Teile D und E): aufgrund der improvisatorischen Erfahrungen, über die beide Solisten verfügen, entschied sich Schlumpf für eine lange durch verbale Angaben gesteuerte Improvisationspassage, die sich über teilweise ganz freimetrischen, teilweise aber auch präzise ausnotierten Orchesterinterventionen entwickelt. Damit ist auch gesagt, dass die auf dieser CD vorliegende Interpretation des Soloparts in diesen zwei Teilen nur eine für den Moment der Aufnahmesession gültige Fassung ist. Andererseits wurde Schlumpf durch die faszinierende Interpretation des Schubert Liedes „Der Doppelgänger“ in eigenen Arrangements durch David Taylor dazu angeregt, in einem langen Abgesang dieses Werks ebenfalls auf wesentliche Elemente aus diesem Lied zurückzugreifen (Teil G). Vor allem auch deshalb, weil der „Doppelgänger“ als sozusagen herausragend modernes Lied im Schaffen Schuberts für Schlumpf in seinen Analysekursen an der Universität einen ganz besonderen Stellenwert hat. Dabei handelt es sich hier keineswegs um ein Arrangement des Schubert Liedes, sondern um eine ganz eigenständige Musik, die ausgewählte Elemente des Originals in einen völlig neuen Kontext setzt.
Die Klangwelt von „Streams“ bringt rhythmische Feuerwerke, fein gestrickte Motivteppiche, ausladende Melodien, reiche harmonische Farben, exquisite Instrumentierungen, zupackende Grooves, einen abgründigen Höllensturz, irisierende Pulsationen, schmerzvolles Aufbegehren, lichte Momente – kurz das ganze Arsenal eines reich ausgestatteten imaginären Theaters.