11. September 2009, Thomas Schacher in der Neuen Zürcher Zeitung über die CD „pulsar_1“ und die UA von „pulsar_2“
Zwischen Mathematik und Bauch
CD-Taufe von Martin Schlumpf – eines der vielen Highlights am Festival der Künste
Am Festival der Künste der ZHdK, das an diesem Wochenende stattfindet (siehe Kasten), ist die Taufe des neuen Albums von Martin Schlumpf vorgesehen. Aufgeführt wird «Rattaplasma 2» für Klarinette und Computer aus dem Jahr 2001, das Gesellenstück Schlumpfs auf dem Gebiet der Computermusik. Zudem kann man die Uraufführung der inzwischen vollendeten Komposition «Pulsar 2» miterleben, deren Besetzung Stimme, Flöte, Klavier und Computer vorsieht.
Eigenes CD-Label der ZHdK
Die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) verfügt seit 2005 über ein eigenes CD-Label. Zum Wort und zum Spiel kommen Dozierende und Studierende der Hochschule, die oftmals auch im Kulturleben ausserhalb der Schulmauern deutliche Spuren hinterlassen. Der Schwerpunkt der CD- und DVD-Produktion des Labels liegt bei der Musik, und zwar quer durch alle Sparten. Aber auch Film und Theater sind vertreten – man will schliesslich demonstrieren, dass aus den früher nach Fachrichtungen getrennten Ausbildungsinstituten eine grosse Kunsthochschule geworden ist.
Eine der jüngst erschienenen Produktionen der Reihe ist dem Komponisten, Musiktheorie-Lehrer und Jazzmusiker Martin Schlumpf gewidmet. Das Stück, das gleichzeitig der ganzen CD den Namen verliehen hat, heisst «Pulsar 1». Es ist für Flöte, Klarinette, Akkordeon, Schlagzeug und Computer geschrieben und entstand in den Jahren 2006 bis 2007. Die stilistische Einordnung dieser Musik ist nicht einfach, bewegt sich Schlumpf doch in einem Spannungsfeld zwischen komponierter Musik und Improvisation, zwischen mathematischen Strukturen und Bauchmusik, zwischen E-Musik und Jazz, zwischen realen Klängen und Computermusik.
Das spanische Verb «pulsar» bedeutet im Deutschen «pulsieren», «pochen» oder «schlagen». Den regelmässigen Puls findet man in der 30-minütigen Komposition zwar immer wieder, aber er ist überlagert durch andere, unregelmässige Bewegungen. Schlumpf spricht von «Tempopolyfonie» und meint damit verschiedene, gleichzeitig ablaufende Zeitebenen. Der Computer hat die Aufgabe, diese komplexen Zeitverhältnisse genau zu realisieren, und zudem bringt die angewendete Ambisonics-Raummodulation, die Verteilung der Klänge im Raum, eine Verdeutlichung dieser Tempopolyfonie.
Literarische Assoziationen
Wer sich beim Anhören von «Pulsar 1» lieber von literarischen Assoziationen leiten lässt, kann sich an den im Booklet abgedruckten Text des Schriftstellers Urs Faes halten, der seine Höreindrücke an einer Stelle so formuliert: «Ein Kleiner, der da steht, mittendrin im Leben, der hört und sieht, spricht und nachspricht, erste Wörter macht: vom Puls und Plus, vom Schiff und vom Fant, vom wippenden Ritter.»
Thomas Schacher