Mit „pulsar_1“ für vier Live-SpielerInnen und Elektronik setze ich eine Linie in meinem kompositorischen Schaffen fort, deren Merkmal die enge Verknüpfung von Live-Spiel mit vorpräparierter Computermusik ist. Ein weiterer Fokus liegt auf einer komplexen polymetrischen Grundstruktur, die diesen Stücken zugrunde liegt. Ich stelle mir die Musik in verschiedenen Ereignissträngen getrennt vor, die jeweils in ihren eigenen individuellen Tempi ablaufen. Die so entstehende Tempopolyphonie stellt eine Art metaphorisches Abbild des „Lebens“ dar: so wie da verschiedene Zeitebenen nebeneinander laufen (in Körperfunktionen, in psychischer Zeitempfindung oder chronologischem Zeitmessen) soll meine Musik aus einem ständig sich wandelnden Komplex von gleichzeitig verlaufenden Spannungsbögen in verschiedenen Tempi bestehen.
Entscheidend ist dabei die Frage der Koordination. Dank dem Computer sind Temporelationen fast beliebiger Art überschaubar, d.h. komponierbar. Ebenso sind Tempobeschleunigungen und -verlangsamungen in verschiedenen Graden möglich. Um die Live-SpielerInnen in dieses Gefüge einbauen zu können, müssen sie mit dem Computer signalmässig verbunden sein und erhalten so je nach Bedarf ihr eigenes Tempoprogramm, das sie in einem kleinen Ohrstecker als Click (= Metronom) via Funk hören. Somit besteht die Gewähr, dass alle Ereignisse genau synchronisierbar (für mich heisst das komponierbar) sind. Ebenso möglich sind aber auch „Unschärfefelder“, die die Unabänderbarkeit des Ablaufens eines zeitlich-mechanischen Räderwerks quasi als Gegenpol erst deutlich machen.
Schliesslich kommt noch die Raumkomponente ins Spiel: Sämtliche akustischen Ereignisse sollen im Prinzip möglichst an allen Orten im Raum reproduzierbar sein. Das bedingt hardwaremässig eine Anordnung von Lautsprechern rund um das Publikum herum, sowie softwaremässig die Verfügbarkeit eines Programms, das möglichst präzise Raummodulationen zulässt. Dies ist mit dem Ambisonic-Verfahren, das an der Hochschule Musik und Theater Zürich entwickelt wurde, möglich.
Pulsare sind rotierende Neutronensterne, die in regelmässigen Abständen Radiowellen aussenden. J. Bell Burnell, die als erste 1967 in Cambridge solche Signale entdeckte, glaubte zuerst, Kontakt mit einer ausserirdischen Zivilisation aufgenommen zu haben. Schliesslich aber gelangte sie zu der weniger romantischen Erklärung der Wellenimpulse, die durch eine komplizierte Wechselwirkung zwischen magnetischen Feldern und der sie umgebenden Materie zustande kommen. Wie auch immer: Übersinnliches oder wissenschaftliche Logik – Pulse, Wellen, Leben – Rationalität oder Fantasie – Menschen, Maschinen – Zahlen oder Rituale – alles soll seinen gebührenden Platz bekommen in meinem neuen Kompositionsprogramm „pulsar“, das die Arbeitstechnik fortsetzt, die ich zum ersten Mal mit „Rattaplasma 2“ und „Waves“ verwendet habe.